Wenige Themen zeigen den oft unsachlichen Charakter medialer Berichterstattung deutlicher als die Diskussionen um chemische Stoffe in Verbraucherprodukten. Dies gilt auch für die aktuelle Berichterstattung zum Thema Biozide in Fassaden, die einen guten Einblick in die Qualität der Risikokommunikation in den Medien bietet.
Im Prinzip lässt sich der Sachverhalt nüchtern darstellen: Abhängig von den klimatischen und architektonischen Bedingungen finden Mikroorganismen wie Algen und Pilze gute Wachstumsbedingungen auf Hausfassaden und können einen unschönen grün-schwarzen Belag bilden. Daher werden Fassadenfarben teilweise mit sogenannten Filmschutzmitteln ausgerüstet. Das sind biozide Wirkstoffe, die den mikrobiellen Bewuchs verhindern bzw. verzögern können. Um zu wirken, müssen diese Wirkstoffe jedoch an der Oberfläche verfügbar sein, wodurch ein sehr geringer Teil, z.B. bei Schlagregen, ausgewaschen werden kann (Experten sprechen von „Leaching“). Naturgemäß soll diese Auswaschung im Sinne der Umwelt und einer möglichst langen Wirkdauer so gering wie möglich sein. Die Wirkstoffe werden im Rahmen der EU-Gesetzgebung nach einem strengen Verfahren bewertet und auf ihre Sicherheit für Mensch und Umwelt hin überprüft (was auch das Leaching beinhaltet).
Am Markt sind auch Farben verfügbar, die keine Filmschutzmittel enthalten und den mikrobiellen Bewuchs trotzdem verhindern bzw. verzögern sollen, z.B. durch Alkalität. Der Bauherr muss sich also entscheiden, ob ihn der mikrobielle Belag überhaupt stört, ob konstruktive Baumaßnahmen (wie ein Dachüberstand) eine Option sind, oder welches Reinigungs- und Renovierungsintervall erforderlich und akzeptabel ist. Insgesamt muss von Fall zu Fall entschieden werden, ob eine biozidhaltige oder eine biozidfreie Farbe nachhaltiger ist.
Filmschutzmittel in Verbrauchermagazinen
Verschiedene Verbrauchermagazine von NDR, SWR und BR haben das Thema für sich entdeckt, mit unterschiedlicher Qualität und insgesamt einer Tendenz zur Dramatisierung. Das Strickmuster ist dabei oft ähnlich: eine junge sympathische Familie erfüllt sich den Traum vom Eigenheim, wünscht sich ein schmuckes Häuschen mit sauberen Fassaden, legt aber auch Wert auf eine nachhaltige Bauweise. Natürlich ist die Familie entsetzt, wenn Sie erfährt, dass in der Fassadenfarbe „umweltschädliche“ Biozide enthalten seien.
In manchen Beiträgen kommen dann Wissenschaftler der Leuphana-Universität Lüneburg zu Wort, die ihre Forschungsergebnisse erläutern. So mancher Branchenexperte wird sich verwundert die Augen gerieben haben, dass das Thema Leaching, das seit Jahrzenten von der Industrie, Hochschulen, der Bundesanstalt für Materialforschung oder dem Fraunhofer IBP intensiv untersucht wird, als angeblich neues Forschungsfeld der Wissenschaft dargestellt wird und den Wissenschaftlern offenbar unbekannt ist, dass auch biozidfreie Fassadenfarben einen nicht vernachlässigbaren Marktanteil haben. Dafür erläutert dann ein findiger Maler, dass man natürlich auch biozidfrei streichen kann, dies aber zu erheblichen Mehrkosten führt (was so pauschal nicht richtig ist). Beim NDR kommt dann noch das „Pestizid-Aktions-Netzwerk“ zu Wort, welches selbstverständlich jeglichen Biozideinsatz ablehnt.
Trotz fachlicher Fehler und Ungenauigkeiten, einer einseitigen Auswahl von Gesprächspartnern und einer klar gefärbten Darstellung, welche eine vorgefertigte Meinung erkennen lässt, ist dennoch das Bemühen um eine gewisse Faktenbasis bei diesen Berichten immer noch vorhanden (wenn auch unterschiedlich stark). So werden teilweise die Baumärkte angefragt oder das Umweltministerium in Bezug auf die Rechtslage konsultiert. Selten kommen Vertreter der Industrie auch nur zu Wort.
Die „goldene Himbeere“
Würde es eine goldene Himbeere für die Berichterstattung zu diesem Thema geben, dann hätte sie die Tageszeitung „Die Welt“ verdient, die 2019 in der Druckfassung den Titel „Wenn Nervengift von der Fassade tropft“ wählte. Falls jemand am plakativen Titel zweifeln sollte, sei erwähnt, dass sich kein Nervengift in den Fassaden findet. In dem in der Zeitung zitierten Fall hätte man täglich über 4000 Liter des direkten Ablaufwassers der Fassade trinken müssen, um den toxikologischen Grenzwert dieses „Giftes“ zu erreichen. Ein Paradebeispiel, wie man eine wissenschaftliche Studie absurd skandalisieren kann. Das Grundproblem besteht darin, dass für die Zuschauer, wie für die meisten Medienschaffenden, das Narrativ „Die Industrie setzt aus Profitgier umweltgefährliche Stoffe ein, die man gar nicht braucht“ viel plausibler erscheint als die nüchterne faktenbasierte Variante, dass ein Einsatz von Filmschutzmitteln sehr nachhaltig sein kann und es vom Einzelfall abhängt, was nachhaltiger und sinnvoller ist. Man kann sich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass das Narrativ oft bereits vor der Recherchefeststeht.
Wie kann man als Industrie darauf reagieren?
Aus Sicht des VdL ist es entscheidend, Informationen bereitzustellen, die auch für Laien klar und einfach verständlich sind. Diese Inhalte müssen schnell verfügbar und ansprechend aufbereitet sein, jedoch trotzdem den Anspruch haben, faktenbasiert und wissenschaftlich korrekt zu informieren (siehe Kasten). Ziel muss sein, dass jeder Verbraucher oder Medienschaffende, der an ausgewogener Berichterstattung interessiert ist, mehr findet als die oft verkürzten Darstellungen von NGOs und Verbrauchermagazinen. Gerade chemische Zusammenhänge müssen oft richtig eingeordnet und die einzelnen Stoffe ins Verhältnis zwischen Dosis und Wirkungsweise gesetzt werden. Denn nur so können wir verständlich machen, wo es sinnvoll UND nachhaltig ist, bestimmte Stoffe effektiv einzusetzen.
Informationen zum Thema Filmschutzmittel
- Das Merkblatt Mikrobiologischer Bewuchs auf Fassaden bietet einen guten Überblick über die Thematik
- Speziell dem Thema Auswaschung von Stoffen widmet sich das Merkblatt „Umwelteigenschaften von Farben und pastösen Putzen auf Fassaden“ des Robert-Murjahn-Institutes
- Antworten auf viele Frage zum Thema Filmschutzmittel finden sich im
FAQ des VdL