Tom Bowtell, wenige Monate nach dem Brexit, wie ist die aktuelle Situation für die britische Farben-, Lack- und Druckfarbenindustrie?
Wir wissen, dass die meisten unserer Mitglieder viel Zeit und Geld in die Vorbereitung auf den Brexit gesteckt haben, aber trotz dieser Vorbereitungen haben die Lack- und Druckfarbenunternehmen immer noch mit Problemen zu kämpfen. Eine kürzlich durchgeführte Mitgliederbefragung hat gezeigt, dass 68 % Probleme mit den gestiegenen Versandkosten und 65 % mit den Zollpapieren haben. Mehr als die Hälfte hatte auch mit den Auswirkungen der neuen Ursprungsregeln auf die Zölle zu kämpfen, hatte Verzögerungen bei der Lieferung von Rohstoffen aus der EU erlebt oder hatte Schwierigkeiten, fertige Lack- oder Druckfarbenprodukte in die oder aus der EU zu versenden. Diese Ergebnisse sind umso bemerkenswerter, als fast drei Viertel der Befragten erfahrene Exporteure waren, die nicht nur mit der EU, sondern auch mit dem Rest der Welt Handel treiben, wodurch deutlich wird, wie komplex die neuen Verfahren sind.
In letzter Minute wurde ein Handelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich gezimmert. Nun lesen wir von vielen Einzelproblemen. Sind das wirklich "Kinderkrankheiten" oder befürchten Sie grundlegende Fehler?
Einige Probleme scheinen tatsächlich Kinderkrankheiten zu sein, da sich Unternehmen und Zollbehörden mit den neuen Abläufen vertraut machen. So hörten wir beispielsweise Anfang Januar von Computersystemproblemen auf beiden Seiten der Irischen See. Es gibt aber auch eindeutig strukturelle Veränderungen, die ein integrales Ergebnis der neuen Handelsbeziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU sind, denn natürlich ist das Freihandelsabkommen bei weitem nicht so tiefgreifend wie die Zugehörigkeit des Vereinigten Königreichs zum EU-Binnenmarkt und zur Zollunion.
Welche Auswirkungen hat der Exit speziell auf die britischen Lackhersteller? Was können die Unternehmen tun, um Probleme zu vermeiden?
Als nachgeschaltete Anwender im Chemiesektor müssen sich unsere Mitglieder auch mit den neuen unabhängigen britischen Chemikalienverordnungen - UK REACH, BPR, CLP und PIC - auseinandersetzen. Im Moment sind diese den EU-Vorschriften sehr ähnlich, aber sie könnten in Zukunft voneinander abweichen. Für Lieferanten entstehen zusätzliche Kosten für die Datenerfassung und die Registrierung von Chemikalien im Rahmen von UK REACH. Und es ist wahrscheinlich, dass unsere Mitglieder in Zukunft zu Importeuren/Registranten werden müssen, so dass es für Unternehmen wichtig ist, sich jetzt mit den neuen Regelungen vertraut zu machen und mit den Lieferanten gut zu kommunizieren. Gleichzeitig müssen in GB ansässige Unternehmen nun die EU-Chemikalienvorschriften als Drittland einhalten (Nordirland unterliegt weiterhin den EU-Vorschriften). Dies bedeutet einen viel größeren administrativen und rechtlichen Aufwand sowie Änderungen bei der Kennzeichnung von Produkten. Unternehmen müssen sicherstellen, dass sie mit allen neuen Anforderungen vertraut sind, um in Zukunft rechtliche Schwierigkeiten zu vermeiden.
Wie unterstützt der BCF seine Mitglieder? Stehen sie derzeit in Kontakt mit Behörden/Regierung?
BCF hat mehr als ein Jahr damit verbracht, unsere Mitglieder bei der Vorbereitung auf den Brexit zu unterstützen, und unsere jüngste Umfrage hat gezeigt, dass 86 % viel Zeit und Geld in die Vorbereitung investiert haben. Wir haben als Brücke zwischen Regierung und Wirtschaft fungiert, indem wir viel kommuniziert und auch die Bedenken der Wirtschaft an Politiker und Beamte weitergegeben haben. Wir haben regelmäßige Webinare abgehalten, wöchentliche E-Bulletins mit den aktuellsten Ratschlägen und Anleitungen bereitgestellt, einen speziellen Brexit-Hub auf unserer Website eingerichtet und Hunderte von Anfragen per E-Mail und Telefon beantwortet. Wir unterstützen unsere Mitglieder auch weiterhin, wenn sich die neuen Handelsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien verfestigen. Gleichzeitig setzen wir uns weiterhin bei der Regierung dafür ein, viele der scheinbar unnötigen zusätzlichen Belastungen für die Industrie abzumildern, nicht zuletzt durch UK REACH.
Einige befürchten große Probleme, wenn REACH und die britische Gesetzgebung im Laufe der Zeit voneinander abweichen. Teilen Sie diese Befürchtung?
Das könnte definitiv Probleme verursachen, und unsere Mitgliederumfrage hat gezeigt, dass 71 % der antwortenden Lack- und Druckfarbenunternehmen befürchten, dass eine Abweichung von der EU-REACH-Verordnung ihre Wettbewerbsfähigkeit stark beeinträchtigen würde. Da die meisten unserer Mitglieder exportieren, ist das keine Überraschung. Es ist ein Thema, das wir in den kommenden Monaten und Jahren genau im Auge behalten müssen.
Deutsche Unternehmen fürchten sich vor viel Bürokratie. Wie können Fehler im Handel vermieden werden, wie und wo können sie Informationen erhalten?
Das gilt auch für unsere Mitglieder. Der Bekanntheitsgrad der neuen Regeln sowie der Zollverfahren und des Papierkrams ist nicht so hoch, wie er sein könnte. Dies wurde durch die Verspätung des Abkommens nicht gefördert, da es erst an Heiligabend unterzeichnet wurde. Der BCF Brexit Hub bietet einen Überblick über alle relevanten Informationen und Links zu Ratschlägen und Anleitungen der britischen Regierung.
Gibt es wichtige Fristen, die Unternehmen, die weiterhin nach Großbritannien liefern wollen, für die Vorschriften des Vereinigten Königreichs einhalten müssen?
Die neuen britischen Chemikalienvorschriften traten am 1. Januar 2021 in Kraft. Es gibt nun eine Reihe von Stichtagen für Registrierungen und Übergänge, die von Unternehmen eingehalten werden müssen, die in Zukunft chemische Produkte nach Großbritannien liefern wollen. Diese Termine variieren je nach Art der Verordnung - z. B. BPR oder REACH. Am besten konsultieren Unternehmen die relevanten regulatorischen Hinweise auf https://www.hse.gov.uk/brexit/chemicals-brexit-guidance.htm
Kann sichergestellt werden, dass bestehende Lieferketten beibehalten werden? In welchem Umfang könnten Märkte verloren gehen?
Wir sind zuversichtlich, dass der britische Lacksektor widerstandsfähig ist und einen optimalen Weg durch die schwierigen nächsten Monate finden wird. Durch die enge Zusammenarbeit mit unseren Mitgliedern - und unseren Kollegen in den Verbänden in der ganzen EU, insbesondere mit dem VdL als unserem größten Handelspartner und natürlich der CEPE - hoffen wir, dass die europaweite Lackindustrie weiterhin von größerem Wert sein wird als die Summe ihrer Teile.
Alexander Schneider und Aline Rommert