Die Europäische Kommission hat am 4. Oktober 2019 entschieden, das Weißpigment Titandioxid in Pulverform als einen Stoff „mit Verdacht auf krebserzeugende Wirkung beim Menschen“ durch Einatmen (kanzerogen Kategorie 2) einzustufen. Die Einstufung soll auch für pulverförmige Gemische gelten, deren Partikel Titandioxid enthalten. Außerdem sollen flüssige Gemische, z.B. Lacke, Farben und Druckfarben, auf ihrer Verpackung einen Warnhinweis bezüglich Sprüh-Anwendungen enthalten, selbst wenn sie nicht für Sprühanwendungen geeignet sind. Sollten weder der Rat noch das Europäische Parlament innerhalb von zwei Monaten Einspruch gegen die Entscheidung einlegen, würde sie 20 Tage nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten. Rechtlich verbindlich würden Einstufung und Warnhinweise nach Ablauf einer Übergangsphase von 18 Monaten, das heißt voraussichtlich ab Sommer 2021.
Die deutschen Farben-, Lack- und Druckfarbenhersteller sind davon überzeugt, dass Titandioxid in ihren Produkten sicher ist. Die Branche wird sich daher weiter dafür einsetzen, dass Titandioxid unter Berücksichtigung der gesetzlichen Gesundheits- und Arbeitsschutzstandards nicht als Gefahrstoff eingestuft wird. Sie hat angekündigt, die Kommissionsentscheidung rechtlich überprüfen lassen. „Die CLP-Klassifizierung ist für Stoffe gedacht, die aufgrund ihrer individuellen Eigenschaften gefährlich sind“, sagte Martin Engelmann vom Verband der Lack- und Druckfarbenindustrie (VdL) und fügte hinzu, dass es "ernsthafte Zweifel" an der Rechtmäßigkeit des Kommissionsvorschlags gebe. Da das Expertengremium RAC in seiner Stellungnahme eine intrinsische Gefahr durch Titandioxid "im klassischen Sinne" verneint habe, sei die Kommission gesetzlich verpflichtet gewesen, zurück zum RAC zu gehen und um Klärung der regulatorischen Antwort zu bitten, sagte er. Außerdem hätte die Kommission andere Optionen wie eine Harmonisierung der Staubgrenzwerte am Arbeitsplatz bewerten sollen.
Titandioxid ist der mit Abstand wichtigste Rohstoff der Lack-, Farben- und Druckfarbenindustrie. Gleichwertige Alternativen gibt es nicht. Hintergrund für die Einstufung ist die Befürchtung, dass Arbeiter an Lungenkrebs erkranken könnten, wenn sie bei der industriellen Herstellung und Verarbeitung Staubemissionen u.a. von Titandioxid ausgesetzt sind. Die Kommissionsentscheidung stützt sich auf eine mehr als 20 Jahre alte Studie, bei der Ratten über einen sehr langen Zeitraum staubförmiges Titandioxid einatmen mussten. Die dabei festgestellte Reaktion ist allerdings nicht stoffspezifisch für Titandioxid, sondern charakteristisch für eine Vielzahl von Stäuben. Es gibt in dieser oder anderen Studien keine Hinweise auf eine Gefahr für Menschen. Im Gegenteil: Untersuchungen über Jahrzehnte an ca. 24.000 Arbeitern, u.a. in Deutschland, haben kein erhöhtes Risiko für eine Tumorentwicklung festgestellt. Der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und den Berufsgenossenschaften liegt kein einziger Fall einer anerkannten Berufskrankheit aufgrund von Titandioxid vor. Dies liegt auch an den strengen Staubgrenzwerten am Arbeitsplatz, die in den meisten EU-Mitgliedstaaten gelten und auf Titandioxidpulver und titandioxidhaltige Pulvergemische anwendbar sind. Deutschland ist mit seinem besonders strengen Grenzwert von 1,25 mg/m3 international Vorreiter.