Im Rahmen der Biozid-Gesetzgebung werden alle sogenannten Altwirkstoffe, also Stoffe, die vor dem Jahr 2000 bereits auf dem Markt waren, einer Überprüfung unterzogen. Ursprünglich sollte dieses Review-Programm bereits 2010 beendet sein, musste jedoch mehrfach verlängert werden. Nun wird eine weitere Verlängerung nötig. Unklar bleibt jedoch, wie die EU-Kommission das Programm zeitnah zu Ende führen will.
„Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen“...
... heißt es bei Goethe, und dieses Motto gilt insbesondere für das sogenannte Review-Programm (oder noch sperriger „Prüfprogramm für Altwirkstoffe“), das nun faktisch seit fast 20 Jahren läuft. Dennoch sind erst 45 Prozent der Stoffe bewertet. Es vergeht kein CA-Meeting – das Meeting, in dem die Kommission mit Experten der Mitgliedstaaten zusammensitzt und über das gemeinsame Vorgehen im Rahmen der Biozidgesetzgebung spricht – auf dem die Kommission nicht darauf verweist, dass die Mitgliedsstaaten bei der Bewertung schneller werden müssen. Mehr Macht als in Form eines „Name and Shame“ Druck auszuüben, hat die Kommission allerdings nicht. Die nationalen Behörden verweisen dann üblicherweise auf chronisch knappe Ressourcen.
Aus Sicht der Industrie hat das langsame Vorgehen bei der Bewertung den Vorteil, dass auch die entsprechenden Beschränkungen, die nach und nach Wirkstoffe vom Markt verschwinden lassen und wichtige Technologien gefährden, nur langsam vorankommen. Auf der anderen Seite schweben die drohenden Einschränkungen stets wie ein DamoklesSchwert über den Firmen – Planungssicherheit sieht anders aus. Auch darf es niemanden wundern, dass die entsprechenden Dossiers, die vor über 20 Jahren eingereicht wurden, aus heutiger Sicht nicht mehr dem Stand der Wissenschaft entsprechen. Entsprechende Datennachforderungen sind die Folge, was den Prozess weiter verlangsamt. Beständig neue Auflagen, z.B. zu endokrin wirkenden Eigenschaften, tun ihr Übriges.
Da die aktuelle Frist 2024 endet, ist klar, dass die fehlenden 55 Prozent nicht bis dahin abgearbeitet werden können. Wenig überraschend schlägt nun die EU-Kommission vor, das Programm erneut zu verlängern. Klar ist aber auch, dass sich prozedural etwas ändern muss, wenn das Programm zeitnah abgeschlossen werden soll. Verschiedene Maßnahmen liegen auf dem Tisch: So wünscht sich die Kommission unter anderem, dass die Mitgliedstaaten die Praxis der „Jagd nach einer sicheren Verwendung“ einstellen, d.h. nicht mehr so viele Daten nachfordern, um eine sichere Verwendung zu belegen, sondern im Zweifelsfall eine Nichtgenehmigung vorschlagen. Da viele der Dossiers seit Jahrzehnten und nun inaktuell auf den Schreibtischen der Behörden liegen, ist die Möglichkeit Daten nachzureichen unerlässlich. Natürlich kann man das Programm auch durch viele Nichtgenehmigungen beenden, aber solch ein „Ende mit Schrecken“ dürfte auch nicht im Interesse von Kommission und Mitgliedstaaten sein.
Bleibt also die Frage, wie die Kommission den Spagat schaffen will, mit den gleichen unterbesetzten Behörden und beständig neuen Auflagen (wie z.B. neuen Gefahrenklassen) das Wirkstoffprogramm zu beenden und gleichzeitig an wissenschaftlich fundierten Prozessen festzuhalten. Als neues Enddatum hat die Kommission 2030 genannt, noch später wäre politisch schwer vermittelbar, daher muss das Programm nun zügig abgearbeitet werden. Hier lässt sich mit Goethe wieder sagen
„Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.”