Lacke & Farben aktuell

Rechtsunsicherheit über Wochen

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Seit Monaten sorgt das Thema Giftinformationszentren für Unruhe in der stark betroffenen Farbenindustrie. Anzahl der Meldungen, technische Voraussetzungen und drohende Unsummen ließen Schlimmes befürchten. Dann wurde im Sommer seitens der EU-Kommission die Verschiebung der ersten Meldefrist für Gemische zur Verwendung durch private Enderbraucher um ein Jahr auf den 1. Januar 2021 verlängert. Ein dringend nötiger Schritt: Nur durch die Anpassung der Frist können die erforderlichen Vorbereitungen für die elektronischen Meldungen abgeschlossen und die Anwendungsprobleme aufgegriffen werden.

In einer Machbarkeitsstudie wurde deutlich, dass die Lack- und Druckfarbenindustrie mit ihren großen Produktpaletten und vielen Farbtönen die am stärksten betroffene Branche ist. So wird erwartet, dass die Gesamtzahl der Neumeldungen von Farben- und Lackherstellern an die Giftinformationszentren europaweit von heute circa 150.000 auf mindestens 44,5 Millionen pro Jahr ansteigen wird. Das wäre fast eine dreihundertfache Steigerung! Hinzu kämen noch geschätzte 1,69 Millionen Aktualisierungen pro Jahr.

Nun wurde die Verschiebung der ersten Meldefrist für Gemische zur Verwendung durch private Endverbraucher im Rahmen des neuen Verfahrens für delegierten Rechtsakte beschlossen. Dieses Verfahren ermächtigt die Kommission, Regelungen vorzubereiten und nach einer Konsultation von Expertengruppen zu verabschieden, ohne dass das Parlament zustimmen muss. So sollen Effizienz und Geschwindigkeit der EU-Rechtsetzung verbessert werden.

Leider hat die EU-Kommission diese erste Änderungsverordnung erst am 29. Oktober angenommen und an Rat und Parlament weitergegeben. Durch diese späte Weitergabe des delegierten Rechtsakts liegt nun ein zeitliches Problem vor, da die Einspruchsfrist von Rat und Parlament zwei Monate beträgt. In diesem Fall würde der delegierte Rechtsakt frühestens am 29. Dezember 2019 veröffentlicht werden und erst 20 Tage nach der Veröffentlichung am 18. Januar 2020 im Amtsblatt in Kraft treten.

Dies hat zur Folge, dass eine Meldepflicht zwischen dem 1. Januar 2020 und 18. Januar 2020 gemäß derzeitigem Anhang VIII bestehen würde, was für die Unternehmen eine Rechts- und Planungsunsicherheit bedeutet. Der Umgang mit dieser „Lücke“ wird den Mitgliedsstaaten überlassen. Gleichwohl haben deutsche Behörden auf Nachfrage signalisiert, dass keine Kontrollen stattfinden sollen.


KOMMENTAR

Zweierlei Maß

Delegierte Rechtsakte sollen der Effizienz der Verwaltung dienen. Das neue Verfahren ersetzt die Zustimmung des Parlaments durch den Beschluss der einer Regierung vergleichbaren EU Kommission und soll langwierige Abstimmungsverfahren bei überschaubarer Regelungsweite abkürzen. Das ist jetzt schon mal schiefgegangen: den Farbenherstellern wird nach Monaten ihres Protests zugemutet, wochenlange Rechtsunsicherheit hinzunehmen. Diese Behäbigkeit wirkt verdächtig: Auch die Einstufung von Titandioxid wurde als delegierter Rechtsakt, aber von einer entschlossenen Kommission umgesetzt. Während es bei den Giftinformationszentren ganze 6 Wochen bis zur Weitergabe an Rat und Parlament dauerte, ging das bei der politischen Diskussion um TIO2 bedeutend schneller. Die Entscheidung wurde noch am selben Tag weitergeleitet. Die Experten scheinen sich bei diesem EU-Verfahren hinter dem politischen Willen anstellen zu müssen. Hier drängt sich der Verdacht einer eher politisch getriebenen EU-Kommission auf. (AS)