Eine mögliche Einstufung von Ethanol droht seit vielen Jahren. Nun scheint wieder Bewegung in das Dossier gekommen zu sein. Aktuell wird das Thema „nur“ im Rahmen der Wirkstoffgenehmigung bei Bioziden diskutiert, aber dass dies ein CLH-Einstufungsverfahren nach sich zieht, ist mehr als wahrscheinlich. Die Auswirkungen könnten für viele Anwendungen gravierend sein. Allerdings bietet die Diskussion auch Chancen, da sie die Bruchkanten des Chemikalienrechts offenlegt.
Alkohol ist ein Genussmittel (bzw. eine Kulturdroge), die tief in der Tradition der EU-Länder verwurzelt ist – vom bayerischen Reinheitsgebot für Bier, über den Grand Cru in Bordeaux bis zum irischen Whisky. Gleichzeitig ist Ethanol wichtiger Bestandteil vieler industrieller Produkte und findet neben Desinfektions- und Reinigungsmitteln auch als Lösungsmittel in Lacken und Druckfarben Anwendung - (insbesondere im Flexodruck. Es ist bekannt, dass der übermäßige Konsum von Alkohol zu gesundheitlichen Problemen führen kann, wodurch die Überlegung, ob Ethanol ein krebserregender „CMR-Stoff“ im Sinne des Chemikalienrechts ist, auf den ersten Blick nahe liegt. Allerdings treten diese Effekte nicht bei den Mengen auf, mit denen man üblicherweise mit chemischen Stoffen in Kontakt kommt, sondern bei einer sehr regelmäßigen, mitunter täglichen, intendierten Exposition in großen Dosen. Insofern ist sehr die Frage, ob chemikalienrechtlich eine Grundlage für eine Einstufung als CMR-Stoff besteht.
Prozess geht weiter
Ethanol wird aktuell als Biozidwirkstoff bewertet. Dabei finden auch die CMR-Eigenschaften Berücksichtigung. Das Verfahren war seit Jahren ruhend, allerdings haben die zuständigen griechischen Behörden Anfang dieses Jahres ein aktualisiertes Dossier eingereicht. Dies ist im Kontext der Fristen des sogenannten Review-Programms bei den Biozidwirkstoffen zu sehen, welches bereits erheblich in Verzug geraten ist. Dadurch erhöht sich der Druck auf die Mitgliedstaaten, die Wirkstoffbewertungen zügig abzuschließen. Aktuell schlägt Griechenland eine Einstufung als CMR der Kategorie 2, also als Stoff, bei dem ein Verdacht auf eine reproduktionstoxische Wirkung gegeben ist, vor. Dies ist erstmal nur für den Biozidbewertungsprozess relevant. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Bewertung sich indirekt auf die harmonisierte Einstufung auswirken wird.
Auch wenn aktuell „nur“ über die Kategorie 2 diskutiert wird, so hätte auch diese Konsequenzen für den Einsatz in chemischen Produkten. Ferner steht die Befürchtung im Raum, dass sich die zuständigen Gremien der europäischen Chemikalienagentur (ECHA) am Ende auch für eine Einstufung der Kategorie 1 B aussprechen könnten. Da es in vielen Rechtsakten „automatische Kopplungen“ an die Einstufung gibt, würden sich erhebliche Auswirkungen mit teilweise paradoxen Konsequenzen ergeben: Mit Ausnahme der ethanol-haltigen Lebensmittel wäre z.B. die Abgabe von ethanol-haltigen Gemischen und Erzeugnissen an den Endverbraucher nicht mehr gestattet, und es bestünden erhöhte Arbeitsschutzauflagen.
Wein erlaubt, Glasreiniger verboten
Im Klartext: Der Verbraucher dürfte keinen Glasreiniger mit Ethanol mehr kaufen, aber weiterhin Wein erwerben und trinken (der freilich nicht von einer schwangeren Kellnerin ausgeschenkt werden dürfte). Hätte die Kommission ihre Pläne zum sogenannten „GRA“ (Generischer Ansatz zum Risikomanagements) umgesetzt, hätte sich das Problem noch weiter verschärft. Dabei ist zu bedenken, dass der relevante Expositionspfad (Trinken) bei industriellen Anwendungen gar nicht relevant ist, da der Alkohol allein schon aus steuerlichen Gründen vergällt (also durch Zugabe entsprechender Stoffe ungenießbar gemacht) ist.
Der VdL wird das Verfahren mit seinen Partnern eng begleiten. So problematisch die Auswirkungen auf die Anwendungen wären, so hätte das Einstufungsverfahren von Ethanol dennoch eine gute Seite: Die aktuellen Probleme des CLH-Verfahrens und insbesondere der direkten gefahrenbasierten Rechtsfolgen würden sehr deutlich zu Tage treten. Eine Situation in der Alkohol aus allen Verbraucherprodukten außer Getränken verbannt wäre, ist der Bevölkerung kaum zu vermitteln.
Karl Valentin war sich vermutlich nicht bewusst, wie prophetisch ein alter Ausspruch von ihm da anmutet: „Leut, meidet's den Alkohol! Trinkt's lieber a Bier!“
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