Noch ist die Schlacht um die Einstufung und Kennzeichnung von Titandioxid nicht endgültig gewonnen, da ziehen erneut dunkle Wolken auf: Der Vorwurf, dass Titandioxid aus China gedumpt sei, mit entsprechenden Konsequenzen seitens der EU-Kommission.
Der Reihe nach: Einige Mitgliedsunternehmen hatten, mit Unterstützung durch den VdL, gegen die aus Sicht der Industrie ungerechtfertigte Einstufung von Titandioxid, Klage beim Europäischen Gericht erhoben. Das Gericht hatte erstinstanzlich die Einstufung im November 2022 für null und nichtig erklärt. Die unterlegene EU-Kommission legte daraufhin Rechtsmittel ein; nach einer für den 7. November 2024 angesetzten mündlichen Verhandlung wird das letztinstanzliche Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) 2025 erwartet.
Strafzölle bis knapp 40 Prozent?
Mittlerweile, und das ist ja auch in der Fachpresse nachzulesen, kommt Titandioxid erneut ins Gerede: Eine ad-hoc Koalition von europäischen TiO2-Herstellern hat sich bei der EU-Kommission beschwert, dass sie als Folge der Einfuhren von ihrer Meinung nach gedumptem Titandioxid aus China einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden erleiden würden. Die EU-Kommission sah hinreichend Anhaltspunkte dafür, dass eine Untersuchung gerechtfertigt sei, und kam nach Abschluss der Untersuchung zu dem Schluss, dass eine massive Schädigung der heimischen TiO2-Hersteller vorliege und deshalb Maßnahmen ergriffen werden müssten. Diese Maßnahmen wurden in der Durchführungsverordnung 2024/1923 vom 10. Juli 2024 festgelegt, und zwar durch die Einführung vorläufiger Antidumpingzölle auf Titandioxid aus China, die je nach Lieferant zwischen 14,4 % und 39,7 % variieren. Diese vorläufigen Zölle, die zusätzlich zum allgemeinen Zoll von 6,5 % auf die Einfuhren von Chemikalien aus China erhoben werden, gelten zunächst für sechs Monate; eine endgültige Entscheidung fällt im Januar 2025. Die EU-Kommission hat auch die Möglichkeit, die Antidumpingzölle rückwirkend zu verhängen. Zu diesem Zweck müssen Einfuhren von TiO2 aus China ab dem 8. Juni 2024 registriert werden. Auch wenn die EU-Kommission bislang auf die rückwirkende Anwendung verzichtet hat, kann sie diese Entscheidung immer noch bei der Festlegung etwaiger endgültiger Maßnahmen treffen.
Farbenhersteller befürchten Nachteile
Etliche VdL-Mitgliedsunternehmen hatten sich während der Untersuchungsphase an die Kommission gewandt, um auf die negativen Folgen eines Antidumpingzolls, zumal in der vorgesehenen Höhe, aufmerksam zu machen. Im Ergebnis dominiert der Eindruck, dass die EU-Kommission die Auswirkungen auf die Verwender von Titandioxid bei weitem unterschätzt hat: Der Anteil von Titandioxid an den Rohstoffkosten von Farben und Druckfarben beträgt bis zu 40%. Der Anteil an den Kosten der verkaufsfertigen Farbe kann bis zu 20 % betragen. Die Kapazitäten europäischer TiO2-Hersteller reichen nicht aus, um den Bedarf in Europa zu decken. Schätzungsweise 40 % des benötigten Titandioxid muss derzeit importiert werden. Und dabei sind die Produktionsausfälle noch nicht berücksichtigt, die gerade in Pandemiezeiten häufig zu beobachten waren, und die im besten Fall zu Lieferverzögerungen, aber auch zu Zuteilungen geführt hatten. Aus diesen Gründen sahen und sehen sich die Lack- und Druckfarbenhersteller gezwungen, die Beschaffung von Titandioxid zu diversifizieren.
Antidumpingzölle auf Einfuhren von Titandioxid werden zur Folge haben, dass die Preise für Titandioxid insgesamt – als knappem Gut – steigen werden. Europäische Titandioxidhersteller haben bereits Preiserhöhungen angekündigt. Und das hat Auswirkungen: Die Herstellungskosten für Produkte der Lack- und Druckfarbenindustrie werden in einem Maße steigen, dass sie nicht in der erforderlichen Größenordnung durch interne Maßnahmen aufgefangen werden können.
Exporte könnten einbrechen, Produktion ins Ausland abwandern
Das benachteiligt die deutschen und in der EU ansässigen Hersteller von Farben, Lacken und Druckfarben gegenüber Herstellern außerhalb der europäischen Union, auch etwa in der Türkei oder im Vereinigten Königreich, die von den Antidumpingzöllen nach vorliegenden Informationen nicht betroffen sind, und daher Produkte auf dem EU-Markt zu deutlich günstigeren Preisen anbieten könnten. Aber es sind nicht nur die günstigeren Preise, die Sorge bereiten. Es steht auch zu befürchten, dass die Importe aus Nicht-EU-Ländern nicht den einschlägigen europäischen Umwelt-, Gesundheits- bzw. Hygienestandards entsprechen, die für EU-Unternehmen selbstverständlich sind, sei es wegen gesetzlicher Auflagen oder aber Selbstverpflichtungen der Industrie, die über die Branchenverbände organisiert werden.
Betroffen sind auch Produkte, die von in der EU ansässigen Unternehmen hergestellt und in Länder außerhalb der Europäischen Union exportiert werden. Diese Produkte werden auf dem Weltmarkt weniger wettbewerbsfähig sein. Folglich werden die Exporte schrumpfen. Weltweit tätige Lack- und Druckfarbenunternehmen könnten zudem ihre bislang in Deutschland oder der Europäischen Union ansässige Produktion an Standorte außerhalb der EU verlagern, was zu einem zusätzlichen Produktionsverlust in Deutschland und der EU führen würde.
Weitere Probleme für die Bauwirtschaft
Erhebliche Mengen an Titandioxid werden in Produkten der VdL-Mitgliedsunternehmen eingesetzt, die im Bausektor Verwendung finden. Die Schwierigkeiten, denen die Baubranche gegenwärtig gegenübersteht, sind hinlänglich bekannt. Prohibitiv hohe Kosten für Bauprodukte sind ein wesentlicher Grund für die zurückhaltende Bautätigkeit nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten. Diese Lage würde noch weiter verschärft, wenn die Preise für Titandioxid enthaltende Produkte als Folge der durch die Antidumpingzölle gestiegenen Rohstoffkosten erhöht werden müssten.
Unser europäischer Verband CEPE hat sich an die EU-Kommission gewandt und eindringlich vor den Folgen für die Branche gewarnt. Der VdL hat gleichlautend an das Bundeswirtschaftsministerium geschrieben. Es bleibt zu hoffen, dass unserer Argumentation gefolgt wird, und die Antidumpingzölle bei einer erneuten Befassung im Januar 2025 begraben werden.