Langsam wirft die Europawahl im Juni 2024 ihre Schatten voraus. Für die EU-Kommission ist nun Eile geboten, um noch alle angekündigten Gesetzesinitiativen rechtzeitig auf den Weg zu bringen. Für die Parteien im Europa- parlament ist es nun an der Zeit, ihr Profil im Vorfeld des Wahlkampfs zu schärfen, und in diesem Spannungsfeld stehen auch die ausstehenden Maßnahmen des Green Deals. Hält die „Green-Deal- Koalition“, oder dreht sich der Wind?
Wenn man die Zeitskala des komplexen europäischen Gesetzgebungsverfahrens, nach dem die Gesetzesvorlagen der Kommission im Parlament zunächst von den relevanten Ausschüssen und im Rat durch die Mitgliedsstaaten bewertet werden und dann ein Kompromiss zwischen den drei Akteuren im sogenannten „Trilog“ gefunden werden muss, so wird eines schnell deutlich: Neue Gesetzesinitiativen müssen vor der Sommerpause auf den Weg gebracht werden, sonst können sie nicht mehr in der Amtszeit der jetzigen Kommission verabschiedet werden. Da niemand weiß, welche Prioritäten die nächste Kommission setzen wird und die aktuelle Kommission sich an der legislativen Umsetzung ihrer ambitionierten Pläne messen lassen muss, ist der Druck auf das Team um Ursula von der Leyen hoch. Dies gilt auch in Bezug auf den Green Deal. Aus Sicht der Lack- und Druckfarben- industrie spielt hier insbesondere die angekündigte Revision von REACH eine Rolle, die potenziell immense Auswirkungen hätte.
Hält die „Green-Deal-Koalition“ im Parlament?
Bisher wurden die Green-Deal-Maßnahmen im Parlament mit breiter Mehrheit durch EVP (Konservative), S&D (Sozialdemokraten), Grüne und Renew (Liberale) getragen. Doch nun mehren sich die Anzeichen, dass diese Koalition bröckelt. Dies hat zuletzt die Debatte um das Gesetz zur Rettung der Natur („EU Nature Restoration Law“) gezeigt. Mit diesem Gesetz, gegen das ins- besondere die Bauernverbände Sturm laufen, will sich die EU verpflichten, 20 Prozent der Fläche zu renaturieren, um ihren Beitrag zu den weltweiten Biodiversitätszielen zu leisten. Nach intensiver Diskussion hat sich der Agrarausschuss gegen das Gesetz ausgesprochen. Auch in den federführenden Umweltausschuss wurde von einigen EVP-Abgeordneten der Antrag eingebracht, das Gesetz abzulehnen, dieser fand allerdings keine Mehrheit. Die finale Abstimmung im Umweltausschuss musste auf Ende Juni vertagt werden. Von einem „Kreuzzug“ Manfred Webers gegen den Green Deal zu sprechen, wie die Grüne-Abgeordnete Jutta Paulus, ist sicherlich übertrieben. Aber die Diskussionen zeigen, dass die EVP eine zunehmend kritischere Haltung zu den Maßnahmen im Kontext des Green Deals einnimmt. Dies war ebenfalls in den Debatten zum EU-Lieferkettengesetz deutlich sichtbar. Auch innerhalb der Renew-Gruppe mehren sich Zweifel. So zitierte der finnische Renew-Abgeordnete Nils Torvalds kürzlich im Umweltausschuss den deutschen Ausspruch „der Wind hat sich gedreht im Lande“ und wies darauf hin, dass auch wenn viele der anstehenden Maßnahmen zur Rettung des Klimas erforderlich sein sollten, die Kommission anerkennen müsse, dass die Menschen Sorge vor dem haben, was da auf sie zukommt. Wie recht er mit dieser Analyse hat, zeigt nicht zuletzt die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz in Deutschland.
Regulierungspause oder Vollgas bis zum Ende?
Auch auf Ebene der Mitgliedstaaten werden kritische Stimmen lauter. So forderte der französische Präsident Macron unlängst eine „europäische Regulierungspause“ bei den Umweltauflagen. Zwar wollte er das erst für die nächste Legislatur verstanden wissen, gleichwohl setzte er damit ein deutliches Zeichen in Richtung weniger Belastungen. Ähnliche Äußerungen waren auch vom belgischen Regierungschef de Croo zu hören. Sicherlich tragen auch die aktuellen Entwicklungen in den USA und die Auswirkungen des „Inflation Reduction Acts“ dazu bei, dass die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie mehr in den Blick gerät. Unverdrossen kämpft der zuständige sozialdemokratische Kommissar Frans Timmermans jedoch weiterhin für den Green Deal. Er verweist darauf, dass der Klimawandel uns nicht den Luxus einer Pause lasse und verspricht, dass die Kommission „Vollgas bis zum Ende“ geben werde. Von der Kommissionspräsidentin ist in dieser Sache bisher wenig zu hören: Zum einen ist der Green Deal auch ihr Prestigeprojekt, zum anderen mehren sich unter vielen EVP-Wählern die Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der EU.
REACH – Qualität vor Schnelligkeit
Welche Schlüsse lassen sich aus den Entwicklungen für REACH ziehen? Die Kommission verspricht die Revision spätestens im 4. Quartal zu veröffentlichen (was zu spät für einen Abschluss in dieser Legislatur wäre), stellt aber in Aussicht, dass es gegebenenfalls auch früher klappen könnte. Zwischen den Zeilen lässt sich deutlich lesen, dass es unterschiedliche Auffassungen in den zuständigen Generaldirektionen für Umwelt und Wirtschaft gibt, die bis in die Kommissionsspitze reichen. Gleichzeitig üben NGO und viele Abgeordnete Druck auf die Kommission aus, den Rechtstext noch vor der Sommerpause zu veröffentlichen. Auch die Industrie ist in dieser Frage gespalten. Während der europäische Chemieverband Cefic mit Hinweis auf die für Investitionen nötige Planungssicherheit auf eine zeitnahe Veröffentlichung drängt, sprechen sich viele Industrieverbände, darunter auch der VdL, für eine Verschiebung im Sinne eines Belastungsmoratoriums aus.
Die aktuellen Pläne zu REACH wirken noch sehr unausgegoren, sind wissenschaftlich hoch umstritten und hätten gravierende Auswirkungen auf die europäische Lack- und Druckfarbenindustrie und den gesamten Wirtschaftsstandort. Auch steht zu befürchten, dass eine zeitnahe Veröffentlichung unter Druck nur dazu führen würde, dass der Rechtstext viele Ermächtigungen für die Kommission enthalten und die noch offenen Details in nachgelagerte Rechtsakte verschoben würden, was auch keine Planungssicherheit brächte. Da REACH das anspruchsvollste Chemikaliengesetz der Welt ist und jede Änderung erhebliche Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft hätte – denn immerhin stehen chemische Stoffe am Anfang fast aller Lieferketten – muss unabhängig vom genauen Zeitplan eines gelten: Jede Revision muss gut durchdacht sein und Qualität Vorrang vor Schnelligkeit haben. Eine besondere Eilbedürftigkeit ist ohnehin nicht erkennbar.
Es bleibt daher zu hoffen, dass die Debatte um die Belastung der Wirtschaft durch immer neue Regulierungen im Kontext des Green Deal und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie anhält und sich auch auf die im Chemikalienrecht noch ausstehenden Maßnahmen auswirkt.