Von der Barbie-Welt bis zur Ampelkoalition – über die gesellschaftliche und politische Relevanz von Farben
Farben bestimmen seit jeher unsere Lebenswirklichkeit. Sie prägen das Erscheinungsbild der Natur- und Kulturräume, in denen wir uns bewegen, ermöglichen Kommunikation, schaffen Orientierung und bilden Identität. Und das, obwohl wir die zu Grunde liegenden Farbcodes meist nur unbewusst wahrnehmen. Doch Farben haben sich in ihrer Bedeutung im Laufe der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung immer auch verändert und damit nicht zuletzt kulturelle, gesellschaftliche und politische Umbrüche begleitet, wenn nicht sogar vorangetrieben. Denken wir zum Beispiel an die „Orangene Revolution“ 2004 in der Ukraine. Mitunter lassen sich diese Umbrüche auch als eine Kulturgeschichte der Entwicklungs- und Produktionsmöglichkeiten von Farben und Farbtönen selbst beschreiben. So war es beispielsweise die Erfindung von Ölfarben in Tuben, die das Malen in der Natur und damit den Impressionismus erst möglich gemacht haben.
Waren Farben in früheren Jahrhunderten beispielsweise Ausdruck von sozialem Status, so sind sie heute in modernen, konsumorientierten Gesellschaften mit das wichtigste Differenzierungsmerkmal von Stars und Marken im Kampf um die Aufmerksamkeit potenzieller Kunden und Fans. Mit unzähligen Produkten, Werbung, Medien, aber auch neuen Technologien werden heute immer wieder neue Farbcodes und Bedeutungen geschaffen. Farben sind mittlerweile nicht nur ein wichtiger Faktor im ökonomischen Wettstreit, sondern spiegeln gleichzeitig auch den Zeitgeist wider. Und sie waren und sind stets auch Instrumente einer Zuschreibung mit einer starken Definitionsmacht, sei es in Bezug auf gesellschaftliche Stellung, geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung oder auch politische Haltung.
Wie Farbe in die Gesellschaft kommt
Die vergangenen sechzig Jahre sind geprägt von einem kontinuierlichen Wandel der Farbwelten. Ob Mode, Konsumgüter, Autos, Interieurs und Fassaden: Alles war und ist permanent im Fluss in unserem „durchgefärbten“ Alltag. Und jedes Jahr werden neue Farbwelten kreiert und Trends ausgerufen. Aber wie kommen diese zeitgeisttypischen Farbwelten zustande und wie entstehen neue Farbcodes überhaupt? Zu diesem Zweck beschäftigen sich Trendforscher in erster Linie damit, die Einstellung von Menschen gegenüber Farben zu prognostizieren. Dazu ist es notwendig, wichtige Stimmungen und Strömungen weltweit zu beobachten und zu analysieren – in Politik, Sozioökonomie, Ökologie, Technologie, Kunst und Design. Subtile Veränderungen in diesen Bereichen wahrzunehmen, ist der Schlüssel, um künftige Farbtrends erfolgreich aufzuspüren.
Was in der Welt geschieht, übersetzen Trendforscher also in Farbe.
Wie gesellschaftliche und politische Stimmungen in die Entwicklung von Farbtrends bzw. Trendfarben eingehen können, zeigt beispielhaft die Wahl der Farbe des Jahres 2016. Das renommierte Pantone Color Institut aus New Jersey, eine Institution in Sachen Farbe, identifizierte damals auf Basis umfassender wissenschaftlicher Studien zu Farbtrends in der Mode und anderen Industriesparten zum ersten Mal in seiner Geschichte mit den Pastelltönen Rose Quartz (ein blasses Rosa) und Serenity (ein helles Blau) gleich zwei Töne als Farbe des Jahres. Als Gegenpol zu den politischen und gesellschaftlichen Konflikten und den damit verbundenen emotionalen Unsicherheiten in jenem Jahr, wie Flüchtlingskrise, Brexit, Terroranschläge in Europa und Trump-Wahl sollen die beiden zarten Pastelltöne im Zusammen spiel Stress, Erwartungsdruck und Ungewissheit entgegenwirken und so Harmonie schaffen und positive Gefühle verstärken.