Trotz vieler Lippenbekenntnisse wachsen Bürokratie und Datensammelwut der Behörden immer weiter. Die Masse der Vorschriften kann der Mittelstand kaum noch bewältigen.
Eigentlich sind sich alle einig: In Deutschland geht es viel zu langsam voran. Den hohen Ansprüchen in puncto Klimaschutz und Nachhaltigkeit stehen vielfach nur verkrustete Strukturen und immer längere und kompliziertere Verwaltungsverfahren entgegen. Also muss ein Aufbruch her, und die Politik ruft selbstbewusst das „Deutschland-Tempo“ und allerlei „Pakte“ aus. Beschleunigung und Entbürokratisierung – dieses Versprechen hört man nun dauernd.
Akteure aller Parteien und politischer Ebenen hätten „Jahrzehnte damit zugebracht, liebevoll und mit viel Spaß am Detail dafür zu sorgen, dass es sehr kompliziert geworden ist“, ließ kürzlich auch Bundeskanzler Olaf Scholz verlauten und erkannte an, „dass manche gesetzlichen Regelungen, manche Vorschriften gar nicht mehr exekutierbar sind“.
Auch die Unternehmen der Lack- und Druckfarbenindustrie sind mit immer mehr Auflagen und Berichtspflichten konfrontiert und müssen damit noch mehr Ressourcen für regulatorische Pflichten binden, die dann wiederum nicht mehr für die Entwicklung neuer Produkte oder die Umsetzung von Innovationen zur Verfügung stehen. Gerade mit Blick auf die demographische Entwicklung und die Herausforderungen der grünen Transformation scheint das keine sinnvolle Strategie zu sein.
Insofern ist es zunächst sehr positiv, dass das Thema nun in den Medien und auf der großen politischen Bühne angekommen ist. Doch umso enttäuschter ist man, dass die Ankündigungen bisher keine konkreten Effekte haben. Bürokratieabbau beginnt am einfachsten bei der Rechtsetzung, indem auf neue, unnötige bürokratische Belastungen verzichtet wird.
Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Kürzlich übergab der Nationale Normenkontrollrat seinen Jahresbericht, in dem es heißt:
„Gegenüber den Vorjahren ist die aus Bundesrecht stammende Belastung von Unternehmen, Behörden und Bevölkerung stark gewachsen – um 9,3 Milliarden Euro pro Jahr und einmalig um 23,7 Milliarden Euro.“
Das bezieht sich wohlgemerkt nur auf das Bundesrecht, erhebliche weitere Belastungen kommen aus Brüssel. Das deckt sich mit der Wahrnehmung der Unternehmen der Lack- und Druckfarbenindustrie: Im Kleinen, bei jeder einzelnen spezifischen Regelung, wird von der Regierung und auch von Brüssel nicht das umgesetzt, was im Großen versprochen wird. Gerade im Bereich des Chemikalienrechts und im Kontext des Green Deals finden sich beständig neue Auflagen und eine wahre Datensammelwut.
Wenn der Gesetzgeber keine andere Idee zur Regulierung hat, dann folgen zumindest Berichtspflichten, die vermeintlich keine große Belastung darstellen. Bei jeder einzelnen Regelung mag der Aufwand vertretbar sein, aber in Summe kommt eine immense Belastung zusammen, die gerade für kleine und mittelständische Unternehmen nicht mehr zu stemmen ist. Unzählige Beispiele lassen sich nennen, im Folgenden seien nur ein paar genannt, sowohl aus dem nationalen wie dem EU-Recht:
Bundesimmissionsschutzrecht
Bei der Überarbeitung der 31. Bundesimmissionsschutzverordnung (31. BImSchV) wurde mit der verpflichtenden Überprüfung von Lösungsmittelbilanzen durch unabhängige Sachverständige (die es momentan noch gar nicht gibt) für bestimmte Industrieanlagen national über das EU-Recht hinausgegangen und jede Menge unnötiger Aufwand geschaffen. Es geht dabei wohlgemerkt um Anlagen, die ohnehin einer regelmäßigen behördlichen Überwachung unterliegen.
Biozidrecht
Mit der nationalen Biozidrechtsdurchführungsverordnung wurden umfangreiche Meldepflichten für die Produkte und die eingesetzten Mengen an Bioziden geschaffen und außerdem neue Vorgaben für verpflichtende Abgabegespräche im Handel und auch online (!) festgelegt. Das umfasst auch Holzschutz mittel, die in einem aufwändigen Prozess explizit für den Endverbraucher zugelassen wurden.
Meldung an die Gift Informationszentren
Dass Rezepturdaten für die Giftinformationszentren zur Verfügung gestellt werden, ist sinnvoll, und Eltern kleiner Kinder werden das zu schätzen wissen. Dass aber teilweise für jeden einzelnen Farbton eines sonst identischen Lacks oder einer Druckfarbe (die nur industriell genutzt wird) eine einzelne Meldung und ein individueller 16-stelliger Code generiert werden müssen, ist ein schönes Beispiel für den liebvollen „Spaß am Detail“, den der Bundeskanzler nannte.
Mikroplastik
Auch eine Regulierung des absichtlich eingesetzten Mikroplastiks ist sicherlich nachvollziehbar. Dass dabei aber eine so breite Definition angelegt wird, die dann auch Bereiche umfasst, die man eigentlich nicht wirklich als Mikroplastik sieht – wie manche Bindemittel in Farben und Lacken – hat die Konsequenz, dass man auf einmal Dinge verbieten müsste, die man nicht verbieten sollte. Es ist in dem Kontext als Erfolg zu werten, dass der Einsatz von Polymerdispersionen nicht unter das Verbot fällt. Jedoch behilft sich der Gesetzgeber auch hier mit umfangreichen Meldefristen mit ebenfalls viel Liebe zum Detail.
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Kinderarbeit, Zwangsarbeit, Diskriminierung, schwere Umweltverstöße – hier dürft e kaum jemand Einwände haben, die eigene Lieferkette davon freizuhalten. Auch wenn positiv zu vermerken ist, dass das Gesetz viele KMU ausnimmt und diese nur indirekt über ihre ggf. erfassten Kunden betroffen sind, zeigt sich auch hier eine unglaubliche Kleinteiligkeit, in dem was zu erfassen und zu melden ist. Fachleute schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, eine Melde- und Auskunftsflut ist über die Unter nehmen hereingebrochen. Und mit dem Europäischen Lieferkettengesetz CSDDD drohen noch strengere Anforderungen.
Lobbytransparenzregister
Ein Lobbyregister ist eine sinnvolle Basis für eine transparente Interessensvertretung, die auch gesellschaftliche Akzeptanz findet. Das Register auf EU-Ebene ist hier ein gutes Beispiel, da es mit geringem Aufwand ein hohes Maß an Transparenz schafft. In Deutschland hingegen hat man ein komplexes Monstrum geschaffen: Wer sich als Unternehmen oder Verband hier eintragen will bzw. muss, darf viele Arbeitstage investieren, bis er alle Daten zusammen hat. Und auch dann sind Fehler fast programmiert: Die Komplexität hatte zur Folge, dass nach dem Start des Registers der Deutsche „Kanu-Verband“ und eine Klinik aus Bad Oldesloe scheinbar unter den mächtigsten Lobbyorganisationen dieses Landes sind. Ob das den Kanuten geholfen hat, unnötige Regularien für ihren Sport zu verhindern? Hat die Bundesregierung daraus gelernt? Mitnichten, die erste Revision des Gesetzes steht an, und es wird alles noch komplexer.
Hinzu kommt natürlich noch der „übliche“ Auflagenwahnsinn, z.B. im Genehmigungs- und Baurecht, wenn man eine Halle erweitern will, Parkflächen braucht oder einen Fahrradweg zum Werk anlegen möchte und sich an den Passierschein A 38 erinnert fühlt. Und damit nicht genug, denn im Kontext des Green Deals, z. B. im Rahmen der Revision der Industrieemissionsrichtlinie oder der REACH-Verordnung sowie auch der Sustainable-Finance-Taxonomie, sind weitere Beispiele für massive Komplexitätserhöhung in Vorbereitung. Und sind solche Regelungen erstmal in Kraft, lässt nicht selten die Klarheit für deren Umsetzung zu wünschen übrig. Paradebeispiel ist hier die Berichtspflicht nach CSRD, in der die vielleicht größte Herausforderung in der Umsetzung nicht eindeutiger und auslegungsbedürftiger Vorschrift en liegt. So sollte man mit Normadressaten eigentlich nicht umgehen – möchte man meinen. Hier wäre jedenfalls viel Potential für „Bett er Regulation“.
Es ist zu betonen, dass die Industrie nicht gegen Regulierung ist und man weiß, dass Regulierung ganz ohne Bürokratie nicht funktioniert. Aber das Ausmaß muss eingedämmt und die praktische Umsetzbarkeit auch mitgedacht werden. Hier muss sich der Grundsatz „Bürokratieabbau beginnt schon bei der Rechtsetzung“ endlich durchsetzen. Das, was im Großen gesagt wird, muss auch zur Prämisse bei jeder einzelnen kleinen Maßnahme werden. Nur dann können wir die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erhalten und die gewaltigen Herausforderungen der grünen Transformation stemmen. Somit möchte man der Ampel, aber auch der EU-Kommission und Entscheidern aller föderalen Ebenen auf ihre Bekenntnisse zum Bürokratieabbau zurufen:
„Der Worte sind genug gewechselt, laßt mich auch endlich Taten sehn! Indes ihr Komplimente drechselt, kann etwas Nützliches geschehn.“ Johann Wolfgang von Goethe
Dr. Roland Appel
ist stellvertretender Geschäftsführer des VCI Bayern und leitet die bayerische VdL-Bezirksgruppe. appel[at]lv-bayern.vci.de
Dr. Christof Walter
ist Leiter Technik beim VdL mit Schwerpunkt Biozide, Druck farben und Produktinformationen. walter@vci.de