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Caesars letzter Atemzug - oder der Unterschied zwischen Risiko und Gefahr

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© 2021 Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)

Die Welt scheint immer gefährlicher zu werden. Doch eine deutlich steigende Lebenserwartung legt nahe, dass die Summe aller Risiken tatsächlich abnimmt. Warum unterscheidet sich das wahrgenommene also so sehr vom tatsächlichen Risiko?

Fast jeden Tag findet man in den Medien Nachrichten über gefährliche Chemikalien, die in der Umwelt, in unserer Nahrung oder sogar im menschlichen Körper vorkommen. Jüngste Beispiele sind die Diskussionen über Glyphosat in Bier, Filmschutzmittel im Wasser oder die Befunde von Mikroplastik in Lebensmitteln oder im Schnee der Arktis.

 Warum sind die Menschen aber bereit, sich so schnell zu fürchten, wenn Fakten gegen gestiegene Risiken sprechen? Ein Grund liegt darin, dass die meisten Menschen nicht zwischen Gefahr (englisch: „hazard“) und Risiko („risk“) unterscheiden. So hängt etwa bei chemischen Stoffen das Risiko für den Verbraucher natürlich von der Gefährlichkeit des betreffenden Stoffes ab, zum anderen aber auch von der Exposition. Dies kann vereinfacht auf die Formel Risiko = Gefahr x Exposition gebracht werden.

 In der öffentlichen Diskussion wird aber die Exposition meist vernachlässigt. Das Konzept lässt sich an einem Beispiel leicht demonstrieren: Ein Bär in einem Käfig ist ein typisches Beispiel für etwas sehr Gefährliches, das jedoch kein Risiko für den Besucher darstellt. Eine weitaus risikoreichere Situation ergäbe sich bei der Begegnung mit einem Bären in der freien Natur.

Gleiches gilt für Chemikalien: Ein sehr gefährlicher Stoff kann bei sehr geringer Exposition praktisch kein Risiko darstellen. Natürlich hängen die Details von der Toxikologie der Substanz ab, d.h. von der Dosis-Wirkungs-Beziehung, aber generell gilt nach wie vor die Aussage von Paracelsus: "Die Dosis macht das Gift." Das Auffinden einer Chemikalie (selbst einer gefährlichen) lässt also nie  den Schluss zu, dass automatisch ein Risiko besteht. Die Exposition muss stets mitberücksichtigt werden.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatte dies bei den Befunden von Glyphosat im Bier recht eloquent formuliert: Danach müsste man ein ganzes Leben lang rund 1000 Liter Bier pro Tag trinken, um die bestehenden Grenzwerte für Glyphosat zu erreichen. Bei einem derartigen Konsum dürfte man jedoch andere Sorgen haben.

Da die meisten Menschen sich bereits beim Nachweis von Chemikalien Sorgen machen, ohne den tatsächlichen Kontakt zu berücksichtigen, nimmt die Risikowahrnehmung mit dem Fortschritt der Analytischen Chemie zu. Die erhöhte Leistungsfähigkeit moderner Analysemethoden ist eigentlich etwas Positives, trägt somit aber zur Beunruhigung weiter Bevölkerungskreise bei. Angenommen, bald könnten sogar einzelne Moleküle einer Substanz nachgewiesen werden, dann müsste man davon ausgehen, dass zumindest Stoffe mit einer   gewissen Stabilität, so ziemlich überall und jederzeit gefunden würden.

Ein sehr illustratives Beispiel ist der letzte Atemzug von Julius Caesar. In den Iden des März 44 v. Chr. wurde Caesar in Rom von mehreren Senatoren ermordet. Die in der Literatur gefundenen Schätzungen unterscheiden sich ein wenig, aber es kann davon ausgegangen werden, dass sein letzter Atemzug etwa 10 hoch 22 Moleküle (hauptsächlich Stickstoff) enthielt. Seit 44 v. Chr. blieb genügend Zeit, um diese Moleküle zu verdünnen, so dass sie sich über den ganzen Globus verteilen konnten. Wie wahrscheinlich ist es also, dass Ihr nächster Atemzug ein Molekül enthält, das von Caesars letztem Atemzug stammt? Einfache Rechnungen zeigen, dass es sehr wahrscheinlich ist. Das Beispiel zeigt eindrucksvoll, dass das menschliche Gehirn nicht gut darin ist mit sehr großen (oder sehr kleinen Zahlen) umzugehen und daher in solchen Fällen leicht zu einer falschen Risikobewertung kommt.

Daher ist es entscheidend in der öffentlichen Diskussion von Befunden chemischer Stoffe in der Umwelt (sei es Mikroplastik, Filmschutzmittel oder Anderes) stets die Exposition und das eigentlich Risiko zu berücksichtigen.


Sehen Sie sich zu diesem Thema auch den Beitrag des Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) an: hier.